Die Wendezugeinsätze der Baureihe 23 waren schon einige Male Thema hier im HiFo, zuletzt in der Anfrage von user "Thies Nulleinszehn". Ich konnte damals auf die Schnelle vom Büro aus nur auf meine Bildliste (in der auch die Bauartmerkmale verzeichnet sind) zurückgreifen. Als ich dann abends zu Hause noch einmal genauer nachgeschaut habe, zeigte sich, dass die Antworten (auch die der anderen User) nicht ganz vollständig waren, sodass die Idee zu einem eigenständigen Beitrag zu diesem Thema entstand. Voilà.
Aber fangen wir vorne an. Die ersten Dampf-Wendezüge in Deutschland verkehrten bei der technischen Neuerungen stets aufgeschlossen Lübeck-Büchener-Eisenbahn (LBE): Die Doppelstockzüge für den Städte-Schnellverkehr zwischen Lübeck und Hamburg, bespannt mit den stromlinienverkleideten 1'B1'-Tenderloks der späteren DR Baureihe 60 ("Mickey Mouse"), kennt wohl jeder. Auch einige der zur Verstärkung und als Reserve vorgehaltenen LBE T12 besaßen die notwendigen Einrichtungen für den Wendezugbetrieb. Ein Bild dieser teil-stromlinienverkleideten Loks findet sich in meinem Beitrag Streifzug durch die Siebziger, Teil 2.
Nach dem Krieg wurde der Wendezugbetrieb mit Dampfloks von der DB wieder aufgegriffen und zunächst mit acht Loks der BR 64 und etlichen preußischen P8 (38.10) und T18 (78.0) abgewickelt. Von den Neubaudampfloks war ab Werk keine einzige für den Wendezugbetrieb ausgestattet - dieses erfolgte erst nachträglich bei den Essener Maschinen 65 012 - 018 und einigen 23ern, um die es in diesem Beitrag geht.
Zunächst ein kurzer Blick auf die Technik: Alle im Wendezugbetrieb eingesetzten Dampfloks besaßen eine indirekte Steuerung. Hierbei erfolgte die Bedienung der Lok (Regler, Steuerung) im Schiebebetrieb durch den auf der Lok verbliebenen Heizer. Der Lokführer auf dem Steuerwagen betätigte lediglich die Bremse und gab dem Heizer über eine verdrahtete Sprechverbindung die notwendigen Bedienungsanweisungen. Die Zusatzausrüstung auf dem Führerstand bestand aus dem "Befehlsgerät" (Hagenuk-Gerät) für die Sprechverbindung und der sog. Regler-Schließ-Vorrichtung, mit der der Regler mittels eines pneumatischen Zylinders geschlossen wurde (bis auf eine minimale Restöffnung aus Sicherheitsgründen), sobald eine Bremsung eingeleitet wurde. Das soll ziemlich schlagartig erfolgt sein und dem Heizer, sofern nicht vorgewarnt, hin und wieder einen heftigen Schlag durch das zurück schwingende Reglergestänge versetzt haben.
Darüber hinaus musste die Lok natürlich mit den notwendigen Steuer- und Energieversorgungskabeln zum Steuerwagen hin versehen werden, jeweils mit Kabel+Stecker rechts und Steckdose links an der Pufferbohle. Dabei verwendete man die vereinheitlichten Bauelemente der 36-poligen Steuerleitung, wie sie bei Diesel- und E-Triebfahrzeugen üblich war. Der aufwendigste Umbau war sicherlich das Durchschleifen der Hauptluftbehälterleitung (10 bar) zum Steuerwagen, was zu den für alle Wendezugloks (außer BR 65) typischen 4 Luftschläuchen an der Pufferbohle führte. Die HB Leitung ist erforderlich, um vom führenden Steuerwagen aus die Bremse lösen und wieder füllen zu können.
Im Gegensatz zu den Dampfloks besitzen die für einen Wendezugbetrieb eingerichteten Diesel- und E-Loks eine direkte Steuerung, bei der alle Funktionen der Lok vom Steuerwagenwagen aus fernbedient und überwacht werden können. Einzige Ausnahme war die in der einschlägigen Literatur selten erwähnte E44 012B, die ebenfalls mit einer indirekten Befehls-Steuerung ausgerüstet war (deshalb auch das B hinter der Betriebnummer) - Bild siehe hier.
Weitere Details zur Technik der indirekten Steuerung bei der Baureihe 23 finden sich in dem vorzüglichen Baureihenbuch von J.U. Ebel über die "Neubau-Dampflokomotiven der DB", Band 1 - DEM Standardwerk über diese Loks schlechthin.
Aus dieser Quelle stammen auch die Daten für die Ausrüstung der ersten Maschinen der BR 23 für den Wendezugbetrieb:
- 23 038: 15.02.67
- 23 003: 28.04.67
- 23 004: 08.05.67
- 23 036: 05.06.67
- 23 030: 11.06.67
- 23 024: 13.09.67
- 23 025: 26.02.69
Als weitere Loks (ohne Umbau-Datum, jedoch angeblich mit Bildbeweis) werden 23 002, 022, 034 und 051 angegeben. Nach Rücksprache mit dem Autor, Hrn. Ebel, gehen diese Aussagen auf amtliche Unterlagen der BD Saarbrücken zurück, bei denen jedoch nicht ausschließen ist, dass hier die tatsächliche Voll-Ausrüstung mit Wendezugsteuerung und eine nur Vorrüstung mit Hauptluftbehälterleitung miteinander vermengt wurden.
Zusammen mit eigenen Sichtungen sind bis heute neun Wendezug-taugliche Loks der Baureihe 23 mit Bild sicher belegt, hier noch einmal nummernmäßig geordnet: 023 003, 004, 022, 025, 034, 036, 047, 051 und 052.
Daneben gab es weitere 23er, die nur mit Hauptluftbehälterleitung versehen waren, und die als potentielle Kandidaten für eine - vielleicht nur kurzzeitige - Nutzung als Wendezugloks in Frage kommen. Mit Bildbeleg nachgewiesen sind:
23 001, 002, 005, 009, 011, 023, 024, 030, 032, 033, 037, 038, 044, 053, 075, 077 und 080.
Das ist jetzt die richtige Stelle für den Publikums-Joker:
Wer aus dem Kreis der HiFo-User kann noch weitere Wendezug- und/oder HBL-Loks benennen (bitte möglichst mit Bildbeweis)?
Woran man den Ausrüstungszustand der Loks eindeutig erkennen kann, zeige ich am besten mit einigen Bildern.
1. Wendezugloks
Bild 01 |
Beginnen wir mit 023 004, aufgenommen im Bw Saarbrücken Hbf am 05.04.71. Gut zu sehen sind das Steuerkabel (rechts) und der Stecker (links) für die Verbindung zum Steuerwagen. |
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Das eigentlich Besondere an dieser Lok ist allerdings nicht die Wendezug-Ausrüstung, sondern das Führerhaus der Serienbauart ab 23 026 - wie ist die 004 bloß an so ein Führerhaus gekommen?
Bild 02 |
Als ganz normale Lok der zweiten Bauform (FH mit Aufsatz, geknickte Türen) präsentiert sich 023 022 am 22.05.71 in Lebach. |
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Bild 05 |
Eine der ersten Wendezug-23er war 023 036, hier zu sehen im Saarbrücker Hauptbahnhof am 27.05.69. |
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HANS Peter Kronauer |
Auf Bild 7 23 052 im Aw Trier wurde die Lok von Heißdampf auf Naßdampf Regelung umgebaut |
2. ehemalige Wendezugloks
Dieses Kapitel ist mit Kenntnisstand Juli 2012 eigentlich obsolet, da inzwischen berechtigte Zweifel bestehen, ob diese von U.Ebel aufgeführten Maschinen tatsächlich jemals eine Wendezug-Ausrüstung besaßen. Der Vollständigkeit halber belasse ich es aber in meinem Beitrag.
Der Ein- und Ausbau der Wendezugeinrichtung muss wohl nicht sehr aufwendig gewesen sein - anders ist es nicht zu erklären, dass einige Loks bereits nach kurzer Zeit die W-Ausrüstung verloren und andere dafür damit versehen wurden. Möglicherweise reichte schon ein absehbar längerer Ausfall einer W-Lok als Anlass, die Wendezugeinrichtung auf eine andere Maschine umzusetzen.
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3. Loks nur mit HBL
Wie oben bereits erwähnt, waren etliche Loks mit HB-Leitung vorgerüstet, um kurzfristig eine W-Einrichtung nachrüsten zu können. Das blieb auch zunächst so, als diverse Saarbrücker Loks mit Oberflächen-Vorwärmer nach Crailsheim im Tausch gegen Loks mit Mischvorwärmer abgegeben wurden.
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Bild 14 |
Bislang unerklärlich ist die Vorrüstung von zwei 23ern des Bw Kaiserslautern mit HBL. Neben 023 011 war das 023 009, hier im Bw Kaiserslautern am 09.09.73. |
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Bild 15 |
Zum Abschluss dieses Kapitels noch ein Bild der bei Ebel nicht aufgeführten 023 044. Am 26.05.69 wartet sie im alten Bw Saarbrücken Rbf auf ihren nächsten Einsatz. |
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4. Loks mit ausgebauter HBL
Alle Crailsheimer 23er, die mit HBL für einen Wendezug-Betrieb vorgerüstet waren, kamen im Rahmen des schon angesprochenen Loktauschs aus Saarbrücken. Da ein solcher Einsatz in Crailsheim nicht vorgesehen (und sicher auch nicht sinnvoll) war, wurde die HB-Leitung bei verschiedenen Loks nach einiger Zeit wieder ausgebaut. Bekannt sind mir 023 002, 005, 037 und 044. Ergänzende Angaben sind, wie immer, willkommen.
Bild 16 |
Als Beispiel sei hier 023 005 gezeigt, aufgenommen im Bw Crailsheim am 08.09.73. Bei der letzten davor liegenden Begegnung am 21.07.70 besaß sie die HBL noch. |
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5. Wendezugloks im Einsatz
Bei der Vorbereitung dieses Beitrags und der damit verbundenen Durchsicht meiner Bilder musste ich mit Enttäuschung feststellen, dass ich zwar fast alle Wendezug- und/oder HBL-23er vor die Flinte gekriegt habe, zum Teil vielfach, aber Aufnahmen von Wendezugeinsätzen mit schiebender Lok sind leider Mangelware. Nachschüsse waren (und sind) mir generell zuwider, und die Besonderheit dieser Betriebsweise ist mir damals in meiner jugendlichen Radikalität anscheinend nicht bewusst geworden. Gerade einmal vier Aufnahmen habe ich zustande gebracht, von denen ich zwei für zeigenswert halte.
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Alle bekannten Bilder des Wendezugbetriebs mit Saarbrücker 23er, auch meine eigenen, zeigen die Lok mit dem Tender zum Zug gekuppelt, also aus Sicht der Fotografen "richtig herum". Dieses ist auch logisch, da so der Lokführer bei Fahrt Lok voraus auf der richtigen, rechten Seite steht; bei Schlepptenderloks sicher ein wichtiger Gesichtspunkt.
Bei den im Wendezugdienst eingesetzten Tenderloks der BRn 65 und 78 sind mir dagegen nur Bilder bekannt, auf denen die Lok mit der Rauchkammer zum Zug gekuppelt ist. Dafür habe ich bis jetzt keine Erklärung.
Zum Abschluss möchte ich noch einmal meine "Publikumsfrage" wiederholen: Wer kann noch weitere Wendezug- und/oder HBL-Loks benennen? Insbesondere von den HBL-Loks könnten einige kurzzeitig die vollständige Wendezugeinrichtung erhalten haben.
Interessieren würde mich speziell ein Bild der 023 053 mit HBL. Ich selbst habe diese Lok 1968 nur als Crailsheimer Maschine, und da natürlich ohne HBL, vor die Flinte gekriegt. Am 10.06.69 wurde die Lok nach Saarbrücken abgegeben und dort am 11.05.70 nach dem Unfall in Saarfels z-gestellt. Wenig Zeit also für eine Vorrüstung mit HBL.
Ich bin gespannt, ob noch etwas Neues zu diesem Thema ans Tageslicht kommt - HiFo macht's möglich.
Schönen Tag noch,
Ulrich B.