Die Kommentare im Anschluss an meinem kürzlich eingestellten Beitrag über die Stromabnehmer der BR 103 haben erwartungsgemäß auch die Stromabnehmer-Ausstattung der BR 111 recht schnell in die Diskussion einbezogen.
Darüber hatte ich im Mai 2004 schon einmal berichtet, Stromabnehmer BR 111. Manches von dem damals Gesagten kann mittlerweile weiter präzisiert werden und in einigen Punkten gibt es sogar gänzlich neue Erkenntnisse. Dieses und die erfreulich breite Beachtung, die das Spezialthema "Stromabnehmer" hier im Forum findet, haben mich bewogen, den damaligen Beitrag in aktualisierter Fassung jetzt noch einmal einstellen.
Bevor es losgeht, möchte ich mich aber bei all denen bedanken, die mir mit Sichtungsdaten und Bildern geholfen haben, dieses Thema "rund zu machen". Ein besonderer Dank geht an Roger Dehn, der mit seinen detaillierten Recherchen, wann welcher Stromabnehmer auf welcher Lok war, wesentlichen Anteil am Zustandekommen dieses Beitrags hatte.
Beginnen wir mit dem Lieferzustand der einzelnen Bauserien.
Die 1. Bauserie umfasste 70 Loks, von denen die ersten 5 inoffiziell auch als Null-Serie bezeichnet werden (keine Prototypen!). Lieferfirma für 111 001 - 040 war Krauss-Maffei mit E-Teil von Siemens, während 111 041 - 070 von Henschel kamen, mit E-Teilen von AEG und BBC.
Die 40 KM-Loks 111 001 - 040 wurden alle mit Einholm-Stromabnehmern der Bauart SBS65 (Siemens-Bahn-Stromabnehmer, Entwicklungsjahr 1965) ausgeliefert. Diese Aussage ist altbekannt und gesichert.
Bei den 30 Henschel-Loks 111 041 - 070 gibt es dagegen neue Erkenntnisse. In der einschlägigen Literatur heißt es, dass die komplette 1. Bauserie, also auch diese Loks, mit SBS65 geliefert worden seien. Allerdings gibt es dafür (bisher) nicht einen einzigen Bildbeleg, der eine Henschel-Lok im Lieferzustand mit SBS65 zeigt. Vielmehr präsentieren sich diese auf allen frühen Aufnahmen mit dem Standard-Stromabnehmer DBS54a (Dozler-Bahn-Stromabnehmer, Entwicklungsjahr 1954, Ausführung a). Man muss deshalb davon ausgehen, dass alle Loks der Nummernreihe 111 041 - 070 das Werk mit Scherenstromabnehmern verließen. (Zwischenbemerkung: Wie allgemein üblich, verzichte ich im Folgenden auf das kleine "a" beim DBS54a und spreche verkürzt nur von DBS54.)
Nun stellt sich natürlich die Frage, warum es zu dieser Aufteilung kam?
Da die Henschel-Loks zeitgleich mit den KM-Loks 111 011 - 040 gefertigt wurden, ist eine vorzeitige Entnahme von SBS65 als Tauschmasse für die 103.1 nicht sehr wahrscheinlich. Warum sollten davon nur die Henschel-Loks, nicht aber die von KM betroffen sein?
An den Lieferfirmen des elektrischen Teils lag es sicher auch nicht! Denn die Loks wurden selbstverständlich nach einem einheitlichen Zeichnungssatz gefertigt, dem sich keine Firma ohne Zustimmung der DB entziehen konnte. Siemens-Lok mit Siemens-Stromabnehmer - das war eine Folge, aber nicht die Ursache.
Ich gehen deshalb davon aus, dass es sich hier um eine Art Großversuch der DB handelte, im Vorfeld der anstehenden 103 SA-Umrüstung den bisher nur in wenigen Versuchsexemplaren vorhandenen SBS65 bzgl. seiner Alltagstauglichkeit zu erproben. Nach dem Reinfall bei der Erstausrüstung der 103.1 mit DBS54-B12-OSD bzw. DBS54-B15-OSD war man wohl etwas vorsichtiger mit der Einführung neuer SA-Bauarten geworden.
Nach so viel Text ein paar Bilder zum bisher Gesagten.
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Im Jahr 1977 erfolgte i.w. die Umrüstung der 103.1 von der Zwischen-/Notlösung DBS54 auf SBS65, um die zunehmend verfügbaren Streckenabschnitte für 200 km/h auch entsprechend nutzen zu können. Zur schnelleren und kostengünstigen Beschaffung der kurzfristig benötigten Stromabnehmer mussten deshalb zunächst einmal alle KM-111 der 1.BS ihre SBS65 im Tausch gegen DBS54 ex 103.1 abgeben. Insgesamt wurden damit also 40 Satz SA gewonnen.
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Nach diesem Tausch waren nunmehr alle 70 Loks der 1. BS mit DBS54 ausgerüstet. Später wurden einige dieser Loks (wieder) mit SBS65 ausgestattet, ohne dass dafür eine spezielle betriebliche Notwendigkeit bestand (zumindest ist mir keine bekannt). Zu nennen sind hier die 111 004, 015, 016, 018, 019, 022, 024, 029, 030, 044, 045, 047, 049, 061, 063, 064, 065 und 070. Wahrscheinlich erfolgte diese Maßnahme in Eigenregie des Heimat-Bws München Hbf. Dafür spricht auch das Kuriosum, dass 111 023, 024, 046 und 059 zeitweise als Zwitter mit je einen DBS54 und einem SBS65 unterwegs waren.
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Kommen wir nun zur 2. Bauserie mit den Loks 111 071 - 110.
Als die Fertigung dieser Maschinen im Jahr 1977 anlief, war der Stromabnehmertausch bei der BR 103.1 gerade in vollem Gange. Um deren Umrüstung zügig durchziehen zu können, vereinbarte die DB mit der Industrie folgendes Vorgehen: Die Loks der 2. Bauserie 111 wurden zwar mit SBS65 bestellt, aber nicht mit diesen bestückt. Die neuen SBS65 wurden nämlich direkt an die DB abgegeben und die Werke erhielten dafür im Gegenzug aufgearbeitete DBS54 von der DB. Soweit feststellbar, verließen alle Loks die Herstellerwerke mit DBS54. Das gilt auch für 111 093 und 096, die bereits wenige Wochen nach ihrer Inbetriebnahme auf SBS65 umgerüstet wurden, wahrscheinlich für Versuchsfahrten in Zusammenhang mit der Ertüchtigung der BR 111 für das Projekt IC'79.
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Aber auch schon damals war bei der Eisenbahn nichts von Dauer. Durch die Einführung der 2-klassigen IC's im Sommer 1979 ("IC'79") und die stetige Ausweitung des IC Systems ergab sich ein Engpass bei schnellfahrenden Lokomotiven, so dass 111 in Doppeltraktion für die Führung von IC's herangezogen werden mussten. Zwei Stromabnehmer in kurzem Abstand am Draht bei 160 km/h erforderte aber zwingend die Verwendung von SBS 65. Und da zudem nur die Loks ab 111 071 als führende Maschine für Doppeltraktionen mit 160 km/h geeignet waren, fiel die Wahl auf die 2. Bauserie, die nun wiederum kurzfristig und komplett mit SBS65 ausgerüstet wurde. Da eine so große Zahl von Stromabnehmern (40 Satz) nicht von heute auf morgen beschaffbar war, wurde das schon beim 103-SA-Tausch angewendete Verfahren wiederholt, und die im Bau befindliche 3. Bauserie 111 "geplündert".
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Bei der 3. Bauserie, den S-Bahn-Loks 111 111 - 146, bestehen hinsichtlich der ursprünglichen Stromabnehmer-Ausstattung nach wie vor etliche Fragezeichen, wenngleich sich der Nebel zu lichten beginnt. Wie oben schon gesagt, mussten diese Loks zum Teil ihre SBS65 für die Umrüstaktion der 111 071 ff hergeben - Tausch gegen aufgearbeitete DBS54 wie bei der 2. Bauserie. Ob dieser Tausch bereits im Werk oder erst bei der Abnahme im AW erfolgte, ist (noch) nicht 100%ig geklärt. Fotos von 111 116, 127, 128, 133 und 134 zeigen die Loks mit SBS65 vor der endgültigen Abnahme. Nur kurze Zeit später sind jedoch zumindest die ersten drei genannten Loks mit DBS54 nachgewiesen.
Die vorliegenden Sichtungsdaten lassen den Schluss zu, dass zunächst alle 111 der 3. Bauserie ab Werk mit SBS65 ausgerüstet waren, ein Großteil dann aber bereits bei der Abnahme auf DBS54 umgerüstet wurde. Für eine endgültige Bestätigung dieser Annahme (!) bedarf es jedoch noch weiterer Bildbeweise jeder einzelnen Lok in dem Zustand, in dem sie das Werk verlassen hat.
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Die 4. Bauserie über 32 S-Bahn-Loks präsentiert sich erheblich einheitlicher, was die Stromabnehmer-Bestückung angeht: Sämtliche Maschinen der Nummernreihe 147 - 178 wurden ab Werk mit SBS65 ausgerüstet.
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Ab der 5. Bauserie mit den Loks 111 179 - 210 kommt ein neuer Stromabnehmertyp zum Einsatz: Der SBS81. Nur 111 195 erhielt aus noch nicht ganz geklärten Gründen noch einen SBS65. Der SBS81 besitzt einen im Grundrahmen integrierten Senkantrieb, Schere und Wippe sind identisch mit SBS 65. Da der Senkantrieb beim SBS65 der 111, anders als bei den Einheits-Elloks, zur Mitte hin angeordnet ist, ist diese Variante aus den üblichen Blickwinkeln optisch nur schwer zu erkennen.
Auch die letzte und 6. Bauserie, 111 211 - 227, erhielt ab Werk den SBS81.
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Und nun zu den Versuchs- und Sonderstromabnehmern.
Bedingt durch die Nähe zum BZA und zur VersA München waren die Münchener 111 bevorzugte Kandidaten, wenn es um die Erprobung neuer Stromabnehmer-Bauarten ging. Dazu kam, dass die Loks ein großes Einsatzspektrum hatten und deutschlandweit eingesetzt wurden. In der Regel wurden je Lok immer ein Sonder-Stromabnehmer und ein Regel-Stromabnehmer verwendet, um eine Rückfallebene zu haben.
Gleich auf 5 Loks wurde der WBL79 (Wanisch-Bahnstromabnehmer mit Luftbalgantrieb, Entw.Jahr 1979) erprobt. Man sieht dem SA deutlich an, dass es sich hier um die Erprobung einer neuen Wippen-Bauart mit einzelgefederten Schleifleisten ging, während die Schere einen recht rustikalen Eindruck macht.
Mit dem WBL 79 waren ausgerüstet:
111 102 (Bildnachweis vom 12.04.82), in 6/87 neue Variante mit geänderter Oberschere
111 103 (Bildnachweis vom 20.06.81 und 11.07.86, am 21.07.87 wieder 2x SBS65)
111 104 (Bildnachweis vom 06.08.86 und 29.04.87)
111 105 (Bildnachweis vom 15.06.85 und 10.07.87)
111 109 (Bildnachweis vom 17.05.81)
Möglicherweise wurden die Versuchsstromabnehmer auch von einer Lok auf eine andere umgesetzt.
Bild 14 |
Das Bild zeigt 111 103 am 11.07.86 in München Hbf. Gut erkennbar ist die stabile Bauart der Unterschere. Das Knie ist, anders als beim SBS 65, nach innen gerichtet. |
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Eine Gemeinschaftsentwicklung von Siemens und ETK (ex Wanisch), Salzburg, war der SES84. Anders als beim WBL79 ist die Unterschere weitgehend identisch mit dem SBS81. Erprobt wurde diese Bauart auf 111 101.
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Bei der nächsten Stromabnehmervariante handelt es sich nicht um die Erprobung neuer, sondern um die Restverwendung alter Bauarten. So trugen 111 103, 189, 196, 201 und 202 zeitweise je zwei Stromabnehmer der Bauart SBS 80AL (Siemens-Bahn-Stromabnehmer, Entw.Jahr 1980, Aluminiumausführung), die ursprünglich mit den Prototyploks BR 120.0 angeliefert wurden. Da die 120.0 just zu dem Zeitpunkt, als 6. Bauserie lief, auf SBS81 umgestellt wurden, liegt der Verdacht nahe, dass es auch hier zu einer Tauschaktion kam.
Später gelangten die SBS80Al für eine kurze Zeit auch auf 111 190, 203, 209, 210, 213, 216 und 227.
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Die neueste Stromabnehmer-Variante auf der 111 ist der DSA200 (Dornier Stromabnehmer in Aluminiumbauweise für 200 km/h), eine Bauart, die heute bei den Neubau-Elloks der BRn 101, 145 und 185, sowie bei Umrüstungen der 140.7, 151 und 155 serienmäßig zum Einsatz kommt. Dieser SA ist im Gegensatz zum SBS65 mit einer Schleifleisten-Überwachung ausgerüstet, die ein selbsttätiges Absenken des SA bei einem Schleifleistenbruch auslöst.
Bisher bekannte Loks mit DSA200 sind 111 018 und 025. Da eine solche SA-Bauart bei der 111 aus betrieblich/technischen Gründen nicht erforderlich ist, dürfte es sich hier eher um eine Maßnahme im Rahmen einer einheitlichen Ersatzteil Vorhaltung handeln.
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Ich hoffe, mit dieser vielleicht etwas lang geratenen Abhandlung ein wenig zum besseren Verständnis der diversen Stromabnehmer-Bauarten und zur Bestückung der BR 111 mit diesen beigetragen zu haben. Trotzdem, nobody is perfect, und deshalb bin ich für weitere Hinweise und Ergänzungen zu diesem Thema stets aufgeschlossen.
Abschließend noch eine Anmerkung: Meinen Beitrag über die Stromabnehmer der 103 habe ich, was die Querverbindungen zur BR 111 betrifft, entsprechend überarbeitet. Sollte sich jemand den ursprünglichen Beitrag abgespeichert haben, sollte er diesen bitte löschen und mit der aktuellen Version ersetzen.
Also denn, Stromabnehmer hoch und einen schönen Tag noch,
Ulrich Budde
Edit: Einige Nachträge nach Gedankenaustausch mit Roger Dehn, für den ich mich hiermit noch einmal ausdrücklich bedanke.