Die Stromabnehmer der BR 103
Beitrag im DREHSCHEIBE Forum "Historische Bahn" vom 04.03.2016

überarbeitete Fassung des ursprünglichen Beitrags vom 25.11.2007

Bei meinem ursprünglichen Beitrag vom 25.11.2007 bin ich leider einer Fehlinformation seitens des BZA München aufgesessen, die zu einer Vertauschung der DBS54-Bauarten mit Wanisch Wippen B12 und WB15 geführt hat. Darauf wurde ich freundlicherweise von Herrn Bernd Zöllner hingewiesen, der mir auch Zeichnungen dieser beiden Bauarten zur Veröffentlichung hier im HiFo zur Verfügung stellte. Dafür herzlichen Dank. Ich habe die Gelegenheit genutzt, den Beitrag inhaltlich und bildmäßig noch einmal zu überarbeiten und zu ergänzen.

Und hier der überarbeitete Beitrag:

Die Prototypen der Baureihe E03 (103.0) wurden werkseitig mit unterschiedlichen Stromabnehmern ausgestattet: E03 001 und 003 erhielten Stromabnehmer der Bauart SBS65 (=Siemens Bahn-Stromabnehmer, Entwicklungsjahr 1965). Dieser (damals) neuartige Einholm-Stromabnehmer aus dem Hause Siemens basiert auf den Versuchsmustern, die bei den Schnellfahrversuchen mit E10 299 und 300 auf der Strecke Bamberg - Forchheim im Jahr 1964 erprobt wurden.

Bild 01 

Als ich E03 003 am 26.08.66 in Würzburg vor dem "Blauen Enzian" (TEE56) fotografierte, befand sie sich noch ganz im Lieferzustand und trug dementsprechend zwei SBS65.

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Bei den E03 002 und 004 wurde der konventionelle Scherenstromabnehmer DBS54 (Dozler Bahn-Stromabnehmer, Entwicklungsjahr 1954) aufgebaut, wobei jedoch statt der üblichen in sich starren Dozler-Wippe eine neue Bauform mit zwei Einzel-Schleifleisten verwendet wurde. Bezeichnung: WB15 (mit B vermutlich für "blattgefedert").

Bild 02 

Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich zum wiederholten Male das Bild der E03 002, aufgenommen am 01.09.67 in München Hbf, zeige, aber hier ist die Bauart des DBS54-WB15 nun einmal sehr schön zu sehen.

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Aus der Sammlung von Bernd Zöllner stammt die Zeichnung des DBS54 mit Wanisch-Wippe WB15.
In der HiFo-gerecht verkleinerten Zeichnung sind Details allerdings nur schwer zu erkennen. Mit einem Klick auf das Bild kommt man aber zu einer pdf-Version, die sich besser für eine Vergrößerung eignet.


Da die 103.0 von Anfang an "Versuchskaninchen" waren, wurden auch die Stromabnehmer schon frühzeitig variiert. So tauschten zunächst 103 002 und 103 003 jeweils einen SA mit der anderen Lok, so dass beide mit einer gemischten Bestückung unterwegs waren: vorne ein DBS54-WB15 und hinten ein SBS65.

Bild 03 

Auf dem Bild vom 23.06.68 ist das bei 103 003 ganz gut zu erkennen. Auch die Ur-Oma E32 16 daneben ist übrigens mit unterschiedlichen SA ausgestattet: vorn ein SBS10 (mit Rillen-Isolatoren) und hinten mit SBS9 (Glocken-Isolatoren).
Bitte beachten: Die Angabe vorn und hinten bezieht sich immer auf die festgelegten Führerstandsseiten der Lok, aber nicht darauf, wie die Lok gerade zu sehen ist!

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Bild 04 

Als die 103.0 dann vorübergehend im Plandienst verwendet wurden, erhielt 103 001 Ende '71/Anfang '72 einen Stromabnehmer der neuesten Bauart DBS54-B12 mit Oberscherendämpfung (OSD), wie die Serienmaschinen 103.1. Am 14.08.72 konnte ich sie so bei der Einfahrt mit IC116 "Glückauf" nach Ulm Hbf aufnehmen (arg viel ist von dem SA auf dem Bild leider nicht zu sehen, deshalb erst später mehr dazu).

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Bild 05 

Kommen wir nun zu den Serienmaschinen 103 101 - 215, also den kurzen 103. Auf diesem bei der Firma Krupp in Essen entstandenen Werkfoto der 103 123 ist die werkseitige Ausrüstung der Lok mit einem DBS54-B12 mit OSD gut zu sehen (oder im Langtext: DBS54 mit Wanisch-Wippe B12 und Oberscherendämpfung. Bemerkenswert ist hier, dass die Oberschere zwar für zwei Dämpfer eingerichtet, aber nur einer eingebaut ist (Fehlteil bei Auslieferung?).
Typisch für die Wippenbauart B12 sind die kurzen (und damit leichten) Einzelschleifleisten, und ein getrennt davon, direkt und ungefedert an der Oberschere angelenkter starrer Bügel mit seitlichen Auflaufhörnern.

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Auch zu der Stromabnehmerbauart DBS54 mit Wanisch-Wippe B12 überließ mir Bernd Zöllner dankenswerterweise eine Zeichnung. Ein Klick aufs Bild öffnet wieder die pdf-Vollversion.

Bei der folgenden Aufnahme ist diese Bauart im Nachschuss auf 103 169 ebenfalls gut zu erkennen, obwohl sich unglücklicherweise ein Mast hinter den SA gemogelt hat. Im Gegensatz zur 103 123 von Bild 5 sind jetzt beide Oberscheren-Dämpfer eingebaut.

Bild 06 

Die 103 169 ist mit IC128 "Hans Sachs" in Richtung Norden unterwegs, während 119 002 abfahrbereit mit E1939 nach München im Bahnhof wartet. Das alles gesehen und fotografiert am 13.08.72 in Treuchtlingen.

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Bild 07 

Und das ist der Beweis, dass alle 103 bis zur Betriebsnummer 215 mit Scheren-SA geliefert wurden: Am 14.08.72 befindet sich die erst vor 5 Tagen abgenommene 103 215 wahrscheinlich auf einer AW-Probefahrt, als sie mir in Augsburg Hbf vor die Flinte kam.

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Bild 08 

Wer genau hingeschaut hat, wird bemerkt haben, dass die Auflaufhörner im unteren Bereich durch ein kleines Blech verstärkt worden sind, wie das auch schon bei 103 169 auf dem vorigen Bild zu sehen war. Die Ausschnittsvergrößerung zeigt dieses Detail sehr gut, obwohl auch hier wieder ein Mast hinter den SA geraten ist. Die Lage dieses Blechs deutet eindeutig darauf hin, dass es sich hier um eine mechanische Verstärkung handelt und keineswegs um ein aerodynamisches Leitblech. Ein solches findet sich unterhalb des Wippengelenks quer zur Fahrrichtung in horizontaler Lage.

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Neben der standardmäßigen Bestückung der 103.1 mit DBS54-B12-OSD wurden einige Loks auch mit DBS54 und Wanisch-Wippe WB15 geliefert, also genau wie bei E03 002 und 004 (s. Bild 2), nur jetzt mit Oberscheren-Dämpfung.

Bild 09 

Als Beispiel für diese Ausführung zeige ich hier 103 124, die mir am 02.04.71 in Aschaffenburg mit E1902 begegnete.

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Bild 10 

Und noch einmal die 103 124: Am 01.10.71 ist es zufällig genau dieselbe Lok, die vor IC127 "Münchner Kindl" im Bahnhof Wuppertal-Elberfeld (damals noch nicht Hbf!) einen kurzen Halt einlegt.

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Bild 11 

Die Ausschnittsvergrößerung füge ich bei, weil man hier noch einmal schön den Aufbau des Stromabnehmers DBS54-WB15-OSD erkennen kann.

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Mit der SA-Bauart DBS54-WB15-OSD habe ich folgende Loks ermitteln können:
103 103, 105, 106, 113, 114, 116, 119, 120, 122, 123, 124, 126, 129, 130, 132, 134, 139, 151, 153, 161, 162, 166, 178 und 212.
Davon einige ab Werk, andere, wie 103 123 (s. Bild 5), auch offensichtlich in Zweitausrüstung.
Umgekehrt habe ich aber auch Loks gefunden, die von DBS54-WB15-OSD auf DBS54-B12-OSD umgerüstet wurden, z.B.
103 103, 114, 120, 123 und 124. Eine Logik dafür (zeitl. Folge, Herstellerfirmen o.ä.) ist mir bisher verborgen geblieben.


Während bei der B12 Wippe ein separater Auflaufbügel vorhanden ist, sind die Auflaufhörner bei der WB15 Wippe direkt an den Enden der Schleifleisten angebracht. Auch hier wurde offensichtlich nach einiger Zeit (und ersten Problemen mit heruntergerissenen Fahrleitungen?) die Auflaufhörner durch eingeschweißte Bleche verstärkt.

Bild 12 

Einen solchen SA trägt 103 122, die ich am 22.05.71 im Bf Saarlouis bei einer Fahrzeugausstellung antraf. Leider ist die Lok abgebügelt.

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Bild 13 

... deshalb noch eine Ausschnittsvergrößerung, wo man die Verstärkungen besser erkennen kann.

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Die Stromabnehmer mit Wanisch-Wippe, egal welcher Bauart, erwiesen sich bei den schnellfahrenden 103 als nicht betriebstauglich. Häufige Störfälle mit teilweise sogar heruntergerissenen Fahrleitungen zwangen die DB, umgehend für Abhilfe zu sorgen. Da die bei der letzten Bauserie der 103 verwendeten Einholm-Stromabnehmer SBS65 nicht so kurzfristig verfügbar waren, wurden die Loks zunächst mit den Standard-Stromabnehmern DBS54 mit Dozler-Wippe ausgestattet. Die Aktion begann zunächst mit einzelnen Loks im Herbst 1971, und wurde dann im Frühjahr/Sommer 1972 in großem Stil umgesetzt.

Bild 14 

Das erste (=früheste) Bild einer 103 mit normalem DBS54 in meinem Archiv zeigt 103 196 am 19.08.72 im Rbf München-Laim, den die Münchener Loks bei ihren Fahrten zwischen Bw und Bbf Mü.Pasing regelmäßig passierten.

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Da die DBS54 mit Dozler-Wippe nur für Geschwindigkeiten bis 160 km/h geeignet sind, musste diese Zwischenlösung für die kurzen 103 101 - 215 so schnell wie möglich beendet und auch diese Loks mit dem Einholm-Stromabnehmer SBS65 ausgerüstet werden. Die dafür benötigten Stromabnehmer wurden dabei durch Tausch aus der laufenden Serie der Baureihe 111 entnommen - siehe Beitrag Die Stromabnehmer der BR 111.

Bild 15 

Eine der ersten Maschinen, die ich nach der Umrüstung auf SBS65 aufnehmen konnte, war 103 195, die hier am 21.09.76 mit dem D791 bei Dinkelscherben gen München rauscht.

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Die letzte Bauserie der Baureihe 103, also die langen 103 216 - 245, wurden bereits ab Werk mit Einholmstromabnehmern SBS65 ausgerüstet.

Bild 16 

Hierzu ein Foto der 103 227, aufgenommen am 03.05.74 in Großburgwedel, wo die Lok anläßlich von LZB-Einstellfahrten auf der Hasenbahn (Langenhagen - Celle) für eine Überholung kurz auf die Seite ging.

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Auch zum SBS65 kann ich eine Zeichnung aus der Sammlung von Bernd Zöllner zeigen (Ein Klick aufs Bild öffnet ein pdf im Vollformat).


Nach diesem mühseligen Weg durch die verschiedenen Bauarten von 103-Stromabnehmern möchte ich noch einmal auf die ursprüngliche Frage und die dazu gemachten Kommentare zurückkommen sowie die in diesem Beitrag geschilderten Punkte zusammenfassen:

1. Alle kurzen Loks von 103 101 bis 103 215 wurden mit einem Scherenstromabnehmer geliefert, alternativ DBS54-WB15-OSD oder DBS54-B12-OSD. Eine Zuordnung zu der Lieferfolge oder zu den Herstellern, egal ob E- oder M-Teil, ist bisher nicht nachvollziehbar. Auch die Schnellfahrlok 103 118 für vmax=250 km/h besaß ursprünglich DBS54-B12-OSD, wie eine Werkaufnahme von Henschel belegt (s. Bild in [1], S119). Offensichtlich wurden diese aber bereits kurz nach der Auslieferung gegen SBS65 getauscht, möglicherweise von 103 001, die just zu diesem Zeitpunkt mit DBS54-B12-OSD ausgerüstet wurde.

2. Die langen 103 mit den Betriebnummern ab 103 216 wurden ab Werk alle mit SBS65 geliefert. Die in einigen Quellen genannte Bezeichnung SBS67 ist falsch, denn hierbei handelt es sich um einen ganz anderen SA mit Dreipunktbefestigung für die S-Bahn Triebwagen 420.
Von 103 217 ist ein Foto kurz nach der Ablieferung mit DBS54 bekannt - frühe Schadensbeseitigung oder Ausnahme von der Regel?
Edit: Weitere lange 103 mit DBS54, z.T. nur einseitig, alle durch Fotos belegt: 103 219, 233 und 244.

3. Zwischen beiden DBS54-Bauarten wurde in der Folgezeit aus bislang ungeklärten Gründen hin- und her getauscht. Vermutung: In den Bw-Werkstätten wurde genommen, was gerade verfügbar war.

4. Bei beiden DBS54-Bauarten wurden ab ca. Mitte '71 die Auflaufhörner durch kleine eingeschweißte Blechecken verstärkt.

5. Ab Herbst 1971 begann die Umrüstung aller kurzen 103.1 auf normale DBS54 mit ungefederter Dozlerwippe. Diese Maßnahme muss als kurzfristig durchgezogene Notlösung angesehen werden, da die bisherigen SA zu viele z.T. schwere Fahrleitungsschäden verursachten. Ob wegen der DBS54, die für Geschwindigkeiten über 160 km/h nicht geeignet waren, die Höchstgeschwindigkeit herabgesetzt wurde, ist nicht bekannt.
EK33 enthält eine Aufnahme von 103 109 mit normalem DBS54, als Datum wird der 19.10.71 genannt. Die Umrüstaktion dauerte bis Mitte des Folgejahrs, mein letztes Bild einer 103 mit DBS54-B12-OSD entstand am 05.08.72, allerdings mit ausgebauten Dämpfern.

6. Im Frühjahr 1977 begann dann die endgültige Umrüstung aller Loks auf SBS65, wobei die SA zum Teil im Tauschverfahren von Loks der BR 111 gewonnen wurden. Die Aktion wurde offensichtlich noch im gleichen Jahr abgeschlossen, denn aus 1978 ff habe ich keine Aufnahmen mehr von 103 mit DBS54 gefunden.
Zuvor wurden jedoch schon einzelne 103, z.T. auch nur einseitig, mit SBS65 ausgerüstet: 103 110, 116, 163 und 167.

Auf den letztgenannten Punkt bin ich im Rahmen meines Beitrag über die Stromabnehmer der BR 111 im Detail ausführlich eingegangen. Hier nur soviel:

Aus der ersten Serie 111, also 111 001 - 070, waren nur die Krauss-Maffei-Loks 111 001 - 040 ab Werk mit SBS65 bestückt. Diese 40 Loks, und zwar ausnahmslos alle (!), mussten 1977 ihre Stromabnehmer im Tausch gegen DBS54 ex 103 abgeben. Später erhielten etliche von ihnen wieder einen SBS65 zurück, ohne dass jedoch dafür eine betriebliche Notwendigkeit bestand.
Die zweite Serie 111 071 bis 110 wurde zwar mit SBS65 bestellt, aber bereits ab Werk mit DBS54 ausgeliefert. Die für diese Loks bestellten 40 Satz Stromabnehmer SBS65 wurden direkt an die DB zu Umrüstung der 103.1 abgegeben.
Die Stromabnehmertäusche der dritten Bauserie 111 111 - 146 haben mit der BR 103.1 nichts mehr zu tun.
Insgesamt stammen damit 80 Satz der für die Umrüstung der 103.1 auf SBS65 benötigten Stromabnehmer mittelbar oder unmittelbar von der BR 111, der Rest kam aus Neubeschaffung. Damit wurde eine effektive und kostengünstige Vorgehensweise zur kurzfristigen Lösung eines drängenden Problems gefunden.

Zum Schluss noch die gesichtete Literatur:

[1] Wolff/Ernst, "Die Baureihe 103, EK-Verlag Freiburg, 2002
[2] Bäzold/Rampp, "Die E 03", Eisenbahnjournal Special 3/95
[3] Obermayer/Andreas/Kirchner, "103 - Technik, Einsatz, Abschied", Eisenbahnjournal Special III/00
[4] Koschinski, "Kultlok 103", Eisenbahnjournal Special 2/06
[5] Siemens, technische Beschreibung E03, 103.1
[6] DB, diverse Unterlagen zur BR 103
[7] Zeitschrift Eisenbahn-Kurier, Jahrgänge 1970 - 1973
[8] EK-Sonderhefte "Die DB vor 25 Jahren", 1970 - 1973

Damit ist die "Vorlesung" beendet. Ich hoffe, man steinigt mich nicht wegen zu langatmiger Ausführungen. Aber das Thema interessiert mich nun mal brennend. Ich bin gespannt auf die sicher auch jetzt noch kommenden Nachträge und Ergänzungen.

Schönen Abend noch,

Ulrich B.